Geld in den Fluss bringen – Ein Interview mit Genossin Cathérine Lehmann

Cathérine Lehmann bewegt sich seit Jahren an der Schnittstelle von persönlicher Entwicklung, Nachhaltigkeit und gemeinschaftsgetragenen Projekten. Über die von ihr initiierte CREATE Convention kam sie zu Wir bauen Zukunft (WBZ), wurde Genossin und unterstützt nun den Aufbau einer Solaranlage an der Werkhalle mit einem privaten Darlehen von 100.000 Euro. Dabei ist ihr wichtig, nicht nur über Zahlen zu sprechen, sondern über Haltung, Vertrauen und Verantwortung: Wie können Menschen mit größeren finanziellen Ressourcen Projekte unterstützen, die neue Formen des Wirtschaftens und Zusammenlebens erproben – und zugleich die Herausforderung navigieren, dass Sichtbarkeit als vermögende Person oft Erwartungen, Zuschreibungen oder Spannungen auslöst?

Was begeistert dich denn ganz persönlich an Wir bauen Zukunft?

Der Ort – mich beeindruckt in erster Linie die Artenvielfalt, die Natur, der Wald. Ich schlafe am liebsten im Tiny House Phönix, ich fühle mich dort zuhause. Die Menschen begeistern mich auch. Aus Begegnungen wächst dort eine Verbundenheit. Ich schätze zudem das miteinander Anpacken, groß träumen, Schritt für Schritt bauen. Je mehr ich involviert bin, desto mehr nehme ich den Ort als „meinen“ wahr und gebe gerne etwas zurück.

 

Wie nah möchtest du fachlich bei Projekten wie der Solaranlage dran sein?

Ich stecke nicht in den technischen Details. Das macht das WBZ-Team mit den Profis von Nordenergie, die die Installation betreuen. Ich schaue auf Sinn, Rückflusslogik und die Qualität der Partnerschaft. Beim Solarprojekt waren alle drei Aspekte stimmig: Es gibt einen klaren Plan für die Umsetzung, eine tolle Partnerkonstruktion, einen fairen Deal, und auch jetzt schon einen Plan, mein Darlehen zeitnah über andere Beiträge wieder abzulösen.

“Lange wollte ich bloß nicht auffallen mit der Menge an Geld. Heute erlaube ich mir kleine Schritte in die Sichtbarkeit. (…) Wichtig ist mir, dass Geld in Fluss kommt und Beziehungen stärkt.”

Fotos: Tom Ben Guischard/Michael Zimmer

Du sprichst offen an, dass „Geld“ für dich lange ein sensibles Thema war. Was hat sich verändert?

Ich war finanziell nie in Not und habe viel Geld als Schenkung erhalten, deutlich mehr als ich für mich brauche oder verwenden will. Dafür bin ich sehr dankbar. Gleichzeitig war in meiner Familiengeschichte auch schon immer eine Last mit dem Thema Geld verbunden. Da waren Scham, Angst vor Zuschreibungen, schwierige Dynamiken rund ums Erbe. Gleichzeitig habe ich mich intensiv mit Postwachstum und alternativen Ökonomien beschäftigt. Inzwischen sehe ich Geld auch als tolle Möglichkeit, wirkungsvoll Gutes zu tun. Mit kollektiven Ideen kann das Geld sinnvoller eingesetzt werden, als wenn ich nur für mich überlege, was ich damit machen kann. Beim Reinventing Society Summit habe ich in einem Prozess viele eigene Glaubenssätze erkannt, die mich noch zurückhalten. Seitdem weitet sich mein Vertrauenskreis an Personen, die von meiner finanziellen Situation wissen.

 

Wie hast du deinen inneren Weg mit Geld erlebt?

Ambivalent. Lange wollte ich bloß nicht auffallen mit der Menge an Geld. Heute erlaube ich mir kleine Schritte in die Sichtbarkeit. Menschen, die mich nur nach Kontostand mögen oder nicht mögen, sind eh nicht „meine“ Menschen. Wichtig ist mir, dass Geld in Fluss kommt und Beziehungen stärkt.

Du engagierst dich auch im Umfeld der Pioneers of Change. Worum geht es da?

Gemeinsam mit den Pioneers of Change und Reinventing Society erforschen wir neue Formen der Co-Kreation – auch auf der finanziellen Ebene. Wir fragen uns: Wie kann Geld zu einer lebendigen Ressource werden, die sich dorthin bewegt, wo sie gebraucht wird, und dabei alle Beteiligten stärkt? Dafür entwickeln wir gerade Strukturen des Vertrauens und der Verbundenheit, um uns gemeinsam in mehr Fülle zu bringen.

 

Was wünschst du dir für unseren gesellschaftlichen Umgang mit Geld?

Ich wünsche mir mehr Gespräch, Vertrauen und Gemeinschaftssinn. Dann braucht es weniger Sicherheitshorten, weil wir alle weniger darauf schauen müssen, uns zunächst mal selbst abzusichern. Geld kann zudem auch innere Sicherheit und Wohlbefinden nicht ersetzen. In Anlehnung an die Schenkökonomieideen von Nipun Mehta ist Geld für mich zudem nur eine Ressource unter vielen: Zeit, Fähigkeiten, Kunst, Coaching, die Ernte eines Apfelbaums. Wenn wir transparent machen, wer was besitzt, können wir besser umverteilen. Privilegien bedeuten Verantwortung, ja. Aber wir gestalten am besten gemeinsam, statt uns gegenseitig zu beschämen und zu beschuldigen.

 

Titelbild: Sebastian Vollmar