Gemeinschafts-getragen? Das heißt: Kosten, Verantwortung und Wissen teilen.

Ein Gespräch mit Charlotte von Wulffen anlässlich des CSX-Netzwerktreffens

Charlotte „Lotti“ von Wulffen lebt in Hamburg, hat Umweltwissenschaften an der Leuphana studiert und aus der Praxis heraus in einem Kaffeeunternehmen Erfahrungen mit solidarischen Organisationsformen gesammelt – bis hin zur (fast) gegründeten Genossenschaft. Aus dem Lernen und Scheitern ist sie ins CSX-Netzwerk für gemeinschaftsgetragenes Wirtschaften hineingewachsen (CSX: Community Supported je nach Kontext Everything, Economy, ). Anlass für unser Gespräch ist das jährliche CSX-Netzwerktreffen – diesmal unter dem Motto „Uns einander zuMuten“. Dort ging es darum, Konkurrenz zu verlernen, Räume für ehrliches Miteinander zu öffnen und zu üben, wie gemeinschaftsgetragenes Wirtschaften im Alltag funktioniert.

Lotti, wie bist du zu gemeinschaftsgetragenem Wirtschaften gekommen?

Über den Umweg „Kaffee“. Nach meinem Studium haben wir mit Freund*innen in Lüneburg und Hamburg einen Betrieb aufgebaut, inspiriert von solidarischer Landwirtschaft (Solawi), nur international gedacht. Auf dem Weg zur Genossenschaft sind wir an harten Fragen gescheitert: Wie übergibt man eine bestehende Einzelunternehmung an ein Team? Wie teilen wir Verantwortung, Risiko und auch Macht? Diese Reibungen waren mein Lernfeld und der Einstieg ins CSX-Netzwerk.

 

Wie erklärst du Menschen, die den Begriff nicht kennen, was gemeinschaftsgetragenes Wirtschaften bedeutet?

Ich knüpfe gern an das, was viele kennen: Solawi. Denn der Kern lässt sich übertragen. Wir tragen gemeinsam, was ein Betrieb zum Leben braucht und teilen Ernte, Leistungen und Zugänge. Drei Prinzipien helfen beim Verstehen:

 

1. Kostendeckung, Transparenz & faire Entlohnung : Betriebs- und Investitionskosten werden gemeinsam getragen (Umlagefinanzierung). Nicht profitorientiert heißt nicht „Selbstausbeutung“. Faire Löhne und klare Zusagen sind Voraussetzung, sonst wird das Modell nicht zukunftsfähig. Es geht darum, wie wir die Grundlage des Betriebs sichern.

 

2. Verantwortung & Risiko teilen: Alle Beteiligten bilden eine Gemeinschaft, die Aufwand und Risiko gemeinsam trägt. Wenn mal etwas nicht läuft wie geplant, wird das gemeinsam aufgefangen. So entsteht wirtschaftliche und soziale Stabilität; auch in Übergangsphasen, zum Beispiel von Gründer*in zum Team hin zu einer geteilten Verantwortung.

 

3. Mitgliedschaft statt marktbasiert: Statt anonyme Marktbeziehungen setzen wir auf direkte, solidarische Verbindungen. Mitglieder sind nicht nur Konsument*innen, sondern Teil des Ganzen. Dadurch entsteht ein unmittelbarer Austausch, der ohne Zwischenhandel, Werbung oder Preisdruck auskommt.Leicht übertragbar ist das dort, wo es regelmäßige Bedarfe gibt (Gemüse, Mobilität, Veranstaltungsorte). In Bereichen mit unregelmäßigem Bedarf, z.B. bei Kleidung, braucht es mehr Experimentierfreude und oft Mischformen mit Tausch- oder Schenkpraktiken.

Fotos vom Netzwerktreffen mit Dank an das IÖR – Leibnitz Institut für ökologisch Raumentwicklung

Wo steht das CSX-Netzwerk gerade?

Wir sind mitten in einer Wandlungsphase und entwickeln uns vom losen Think-Tank hin zu zugänglicheren Lernräumen und stabileren Strukturen. Parallel begleiten wir Organisationen, die neu gründen oder auf gemeinschaftsgetragen umstellen. Generell sehen wir: Draußen passiert viel mehr als „nur“ Solawi. Es gibt bereits hunderte Initiativen, von Bäckereien über Imkereien bis hin zu ersten Handwerksbetrieben. Unsere Rolle beschreibe ich als „Brückenpraktik“ für die sozial-ökologische Transformation. Wir üben jetzt schon in kleinen Zellen, hüten die Prinzipien ohne Gatekeeping-Label, und stärken die Qualität durch Austausch.

“Das CSX-Netzwerk begreife ich als Brückenpraktik für die sozial-ökologische Transformation: jetzt in kleinen Zellen üben, was morgen groß werden soll.” – Charlotte von Wulffen

Was ist beim Netzwerktreffen passiert? Und warum das Thema „Uns einander zumuten“?

Wir wollten einen Raum öffnen, in dem Kooperation echt geübt wird inklusive der Zumutungen, die dazugehören. Die Tage fanden bei der Wegwarte, einem bereits gemeinschaftsgetragenen Ort in der Nähe von Witzenhausen, statt. Rund 60 Menschen kamen zusammen: mit somatischer Arbeit, Open Spaces und bewussten Verdauen. Das Programm ist mit den Menschen gewachsen. So gab es wenig Frontalinput, viel Mitgestaltung. Für mich war es besonders wohltuend, wie selbstverständlich Körper- und Naturverbindung Teil des gemeinsamen Lernens wurden.

 

Und persönlich, was hast du mitgenommen?

Am Ort andocken, gemeinsam anpacken, ja sogar ernten, hat dem Treffen eine Qualität gegeben, die sich sehr regenerativ angefühlt hat.Wer kann bei CSX mitmachen – und womit kann man sich an euch wenden?Alle. Einzelpersonen wie Organisationen. Typische Fragen die uns erreichen, z.B. rund um die Rechtsformen, Entscheidungsprozesse, Gemeinschaftsaufbau, Finanzierung, kann man in einer digitalen Community auf Mattermost einbringen. Man kann Mitglied werden, auch als Organisation, und sich auch sehr gerne im Koordinationskreis einbringen. Besonders suchen wir Menschen, die Kapazität für diese Arbeit in der Mitte mitbringen. Wir brauchen Menschen, die gerne Strukturen pflegen, Lernräume kuratieren, Wissen in die Breite tragen. Kontakt nimmt man am einfachsten per Mail über die Website des CSX-Netzwerks auf.

 

Was ist dein Wunsch an Leser*innen?

Bastelt mit. Helft uns, das Modell radikal praktisch zu halten: solidarisch genug, um Ungleichheit abzubauen und klar genug, damit Menschen davon leben können. „Realutopien“ entstehen nicht auf dem Papier, sondern im Tun.

 

Titelbild: CSX-Treffen von Chris Leipold 2023