Wie gemeinschafts-getragenes Wirtschaften bei WBZ Gestalt annimmt
Solidarische Infrastrukturgemeinschaft statt Preisschildlogik
Gemeinschaftsgetragenes Wirtschaften ist mehr als eine alternative Finanzierungsform. Es ist eine Haltung: Menschen übernehmen gemeinsam Verantwortung für Risiko, Aufwand und Ertrag und gestalten damit die Produktion und Verteilung von Gütern und Services neu. Statt in der klassischen Tauschlogik entsteht eine kontributionale Beziehung. Alle Beteiligten tragen bei, alle profitieren. In diesem Beitrag erzählen wir euch, wie wir uns mit zwei Praxisprojekten diesen Winter ganz konkret auf den Weg machen.
Vom Nischenethos zur Daseinsvorsorge
Johannes ordnet das Konzept als prinzipiell tragfähige Praxis, insbesondere in Bereichen der Daseinsvorsorge. So gibt es bereits viele Beispiele, wo diese Art des Wirtschaftens schon heute ausprobiert wird:
- Energie: Bürger*innen legen Geld zusammen und stellen Energiesouveränität her.
- Landwirtschaft: Solawis setzen Maßstäbe für Vorfinanzierung, Risiko- und Ertrags-Teilung.• Handwerk & Dienstleistungen: Genossenschaftliche Kooperativen (z. B. Schreinereien, Agenturen) zeigen, wie Beteiligung organisiert werden kann.
- Rechtsformen: Modelle von Verantwortungseigentum und Genossenschaften verankern Mitwirkung und Gemeinwohlorientierung strukturell.
Als anschauliches Vorbild verweist er auf die solidarische Landwirtschaft (Solawi). Menschen bündeln Anliegen (gesunde Lebensmittel, faire Arbeit, Bodenaufbau) und finanzieren vorausschauend die anstehenden Kosten. Wer mehr geben kann, trägt mehr; wer weniger hat, wird dennoch Teil der Gemeinschaft. Solidarität ist dabei nicht Wohltätigkeit, sondern Bedingung dafür, wirklich gemeinschaftlich zu wirtschaften.
Die langfristige Vision dieser Piloten ist eine vernetzte Solidargemeinschaften, die Grundbedürfnisse abdecken – von Mobilität über Strom und Wasser bis hin zu Ernährung und Pflege. Die Größe ist dabei kein Selbstzweck. Viele kleine, lokal verankerte Einheiten können gemeinsam eine belastbare Alternative zum Mainstream der Preis- und Wachstumslogik bieten. Das Münchner Kartoffelkombinat gilt als die größte Solawi Deutschlands und versorgt mehr als 2.300 Mitgliedshaushalte. Seit 2011 steigt die Anzahl solidarisch landwirtschaftender Betriebe stetig. Im Juli 2022 sind 404 in Betrieb befindliche SoLawis gelistet.
“Wir werden alle zu Beteiligten – am Prozess und am Ergebnis. Das ist der Unterschied zwischen transaktional und kontributional.” – Johannes Milke
CSX – Community Supported Everything am Zukunftsort
Im Reallabor von Wir bauen Zukunft erprobt unser Team, diese Prinzipien auf zwei Praxisprojekt zu übertragen: den Gäste- und Veranstaltungsbetrieb und die Stromerzeugung.
Praxisprojekt Eventbetrieb
Statt punktueller Miete einzelner Dienstleitungen und Räume in einer Anbieter-Kundin-Beziehung entsteht Mitgestaltung: Veranstaltende, Partnerorganisationen und Gäste werden Mitwirkende und tragen Kosten, Pflege und Weiterentwicklung gemeinsam. Johannnes erklärt es so: „Unsere Genossenschaft stellt die Plattform. Dazu gehören das Gelände und die Räume, unser Netzwerk, digitale Tools, Know-how und die Moderation des Ökosystems. Zudem kuratiert das Team Veranstaltungen, pflegt den Ort und Beziehungen und achtet auf Commons-Regeln, die gemeinsam definiert und weiterentwickelt werden.“
Teilhabe wird dann vor Ort konkret durch:
- Beitragsrunden statt fixer Preise: Für ausgewählte Formate gibt es einen Mindestbeitrag zur Kostendeckung; die Gruppe entscheidet in einer offenen Beitragsrunde, wie die Gesamtkosten solidarisch getragen werden.
- Co‑Cooking statt Full‑Service‑Pflicht: Neben vollumfänglicher Betreuung gibt es Mitmach‑Optionen (z. B. gemeinsames Zubereiten von Speisen), die Kosten senken und das Gemeinschaftsgefühl stärken.
- Solidarischer Zugang im Winter: Räume werden für Gruppen mit geringeren Mitteln geöffnet. Stärker finanzierte Organisationen zahlen bewusst mehr und schaffen so einen Ausgleichsmechanismus, der Zugang ermöglicht und Beziehungen vertieft.
„Der größte Hebel und die größte Hürde ist aktuell die Vorfinanzierung,“ so Johannes. Wie lassen sich alle Jahreskosten frühzeitig transparent machen und von einer festen Gruppe vorfinanzieren, analog zu Solawis? Noch fehlt die stabile Kerngruppe von Beitragenden, um sofort den gesamten Deckungsbeitrag zu sichern. Darum setzt das Team auf Annäherung durch erste Experimente, ohne den Wirtschaftsbetrieb komplett auf dieses Modell umzustellen. Mit langjährigen Partnerorganisationen wie Reinventing Society und dem Pura Vida Festival Retreat ist Johannes bereits jetzt im Gespräch zur Umstellung.
Praxisbeispiel 2 Photovoltaik
Auf dem Dach der Werkhalle entsteht eine PV‑Anlage, vorfinanziert durch ein privates Darlehen einer Genossin und realisiert gemeinsam mit Nordenergie. Das Besondere:
- Die Anlage senkt eigene Stromkosten und ermöglicht Stromverkauf innerhalb des Netzwerks (z. B. für E‑Mobilität und an Mieter:innen).
- Rückflüsse dienen zuerst der Darlehenstilgung, fließen danach in einen Infrastruktur‑Transformationsfonds für weitere gemeinschaftsgetragene Projekte.
„Geld, das sonst auf der Bank liegen würde, arbeitet hier für Klima‑Positivität, Resilienz und ein lernendes Netzwerk,“ freut sich Johannes.
Wo geht es hin?
„Wir stehen am Anfang“, weiß Johannes. „Aber die Haltung ist klar und unsere Genossenschaft bietet das passende Traggerüst.“ Gesucht werden Organisationen und Einzelpersonen, die mitfinanzieren (Beitragsrunden, Fonds, Darlehen), mitgestalten (Formate, Pflege, Commons‑Regeln) und mitlernen (Vernetzung, Dokumentation, Mustersprache der Commons).


