Herausforderung: Regeneration
Innenschau – Einblicke in die Zukunft
Ein Ökosystem und Zukunftsort wie der unsere sind Räume voller Geschenke und Potenziale – und gleichermaßen voller Herausforderungen. Wir möchten uns an einer neuen Kategorie versuchen und euch in Zukunft hier und da einen Einblick hinter die Kulissen von »Wir bauen Zukunft« geben, teilen, was uns bewegt und auch von Herausforderungen und Fehlern erzählen – offen, ehrlich und nah am Herzen.
Unser Team-Mitglied Swantje gibt euch dieses Mal in einem persönlichen Brief einen Eindruck davon, wie die Größe und Komplexität unseres Projekts sie und uns immer wieder vor Herausforderungen stellen, und formuliert dabei ein paar Fragen auf dem Weg zu einer regenerativen Projekt-Kultur. Nach dem Lesen freuen wir uns über eure Gedanken zu dem Thema.
Ich hatte kürzlich einen starken Impuls, nach außen ein bisschen sichtbarer zu machen, was uns im Innen so bewegt. Deshalb gibt es heute ein paar Worte aus meiner persönlichen Brille.
Vor einigen Wochen saß ich in einem Monats-Meeting unseres Arbeits-Kreises für Öffentlichkeitsarbeit und stellte fest, dass wir alle ganz schön im Eimer sind. Nicht nur, dass wir ziemlich fleißig waren in den letzten Monaten, wir haben (zumindest in diesem Kreis) alle auch noch einen Job außerhalb von »Wir bauen Zukunft« und ein buntes Leben, das hin und wieder andere Pläne mit uns hat – und manchmal ist dann eben alles etwas viel. Es tat gut in diesem Kreis zu merken, dass ich damit nicht allein bin.
Aber warum erzähle ich das?
Seit circa drei Jahren arbeite ich jetzt mit dieser tollen kleinen Gruppe von Menschen daran, dass unser Projekt dort draußen sichtbar ist und von seiner schönsten Seite strahlt – egal, ob im Newsletter, im Internet, in den sozialen Medien oder vor Ort. Wir sind immer darauf bedacht, dass ihr zu sehen bekommt, was bei uns passiert, was wir in Zukunft vorhaben, welche tollen Events euch erwarten oder welche neuen Angebote wir als Team für euch entwickelt haben. Und es ist so viel los bei uns! Und dann diese ganzen Pläne und Visionen für die nächsten Jahre – was sage ich, Jahrzehnte! Und diese ganzen Potenziale und was wir schon alles geschafft haben und…
Und wir sind auch ganz schön geschafft.
Ja, das will ich eigentlich sagen. Wir sind gerade etwas geschafft. Wir haben viel entwickelt, neu aufgesetzt, zwei neue Websites entwickelt, eine Kampagne gefahren und das Daily Business jongliert und merken dann doch an einigen Stellen, dass wir immer wieder auch Pausen brauchen. Und auch wenn ich nicht für alle sprechen kann, würde ich sagen, dass das nicht nur in der Öffentlichkeitsarbeit so ist und auch nicht nur die letzten Monate. Jede Phase in den letzten 8 Jahren hatte ihre eigene Art von Intensität. Es waren Jahre, in denen anfangs ein zerstörtes und ausgeraubtes Gelände wiederhergestellt werden musste, angepackt wurde, Gruppenprozesse stattfanden, Schweiß, Geld und Herzblut investiert wurden. Jahre, in denen wir immer wieder herausgefordert waren, Lösungen zu finden, um das Projekt zu erhalten und wachsen zu lassen. Jahre, in denen die verschiedensten Menschen in die Verantwortung gegangen sind, um WbZ zu stabilisieren, Infrastruktur zu stärken oder aufzubauen, Geldflüsse zu sichern und die Herde zusammen zu halten.
Und dann gibt es eben Momente auf dem Weg, in denen wir aus der Puste sind.
Und wenn ich »wir« sage, meine ich »wir als Arbeits-Kreis« und »wir als ganzes Projekt« – aber genau so gut könnte ich sagen »wir als Gesellschaft« oder »wir als Welt«. Das, was wir in unserem kleinen Ökosystem abbilden, ist ein Fraktal der Welt und der Realität dort draußen, in der alles immer noch schneller wird und in der deshalb nicht nur Wälder sondern eben auch manchmal Menschen ausbrennen.
Natürlich kann ich in diesem Fall nicht einfach von »wir als Projekt« sprechen – schließlich haben wir alle unterschiedliche Erfahrungen, Vorraussetzungen oder Umgänge mit inneren und äußeren Herausforderungen: Für manche von uns ist es ein Leichtes, gut in Balance zu sein, andere sind etwas stärker gefordert. Manche sind so erschöpft, dass sie sich mal ein paar Tage von einer Event-Organisation erholen müssen, andere so, dass sie etwas Abstand oder eine Auszeit brauchen, und wieder andere so, dass sie sich nach einer intensiven Phase des Engagements sogar für einige Monate oder Jahre aus dem Projekt-Geschehen zurückziehen.
Und natürlich ist Überlastung nicht nur ein individuelles Thema sondern genauso oder vor allem ein systemisches. Gleichzeitig kann ich hier nicht einfach mit dem Zeigefinger auf unser WbZ-System zeigen. Ich bin Teil, kann Vorschläge machen oder das System in Prozessen mit- oder umgestalten – und trotzdem weiß ich an vielen Stellen auch keine besseren Antworten. Seit Anbeginn arbeiten die Themen von Gemeinschaft, Engagement und Vergütung in unserer Gruppe und seit Anbeginn experimentieren wir, versuchen wir Beteiligung und Fairness zu ermöglichen. Nach verschiedensten Versuchen und Modellen in der Vergangenheit haben wir letztes Jahr sieben halbe Stellen geschaffen. Das ist ein großer Schritt, der durchaus auch Wachstumsschmerzen mit sich bringt – wir haben ihn aber bisher zumindest finanziell gut gemeistert. Gleichzeitig sind wir auch damit immer noch auf sehr viel Ehrenamt angewiesen, weit von einem pionierhaften Ansatz eines Preis- und Vergütungsmodells entfernt und mitten im Spannungsfeld zwischen Idealismus und Machbarkeit.
Wir stecken derzeitig in einem Prozess, unsere Werte als Projekt zu überprüfen und vielleicht auch neu zu formulieren. Einer der Werte, die uns dabei am Herzen liegen, ist, die Arbeit und Zusammenarbeit möglichst zyklisch und regenerativ zu gestalten. Wir versuchen, Phasen der Erholung in unseren Jahreszyklus einzubauen, habe regelmäßige Check-Ins zum emotionalen Befinden, versuchen zu reduzieren, wo etwas zu viel ist. Das gelingt uns an einigen Stellen schon ganz gut und an anderen (noch) so gar nicht. Manchmal mögen Stellschrauben, wie »langsamer« oder »weniger« oder »delegieren« funktionieren – manchmal braucht es aber auch einfach mehr Ressourcen, mehr Geld, mehr Zeit und mehr Menschen, um solch umfangreiches Projekt auf gesunde Art und Weise wachsen zu lassen. Ich würde sagen, wir leben bei dem Thema derzeitig noch die Fragen.
Um sich etwas besser vorstellen zu können, wovon ich spreche, mag ich noch einen kleinen Einblick in meine direkten Erfahrung geben. Für mich ganz persönlich bringt das Arbeiten in einem so komplexen und vielfältigen Projekt wie »Wir bauen Zukunft« auf verschiedenen Ebenen Herausforderungen mit sich: nicht rettend in jede Lücke zu springen, die sich auftut, nicht in jedes Potenzial einzusteigen, das sich eröffnet, nicht all die Aufgaben auf einmal anzugehen, die mich da an jeder Ecke dieses Platzes und Systems anlachen, und nicht in jede Begegnung oder Verbindung voll und ganz einzutauchen. Denn so schnell wirke ich auf einmal in mehreren Arbeitskreisen parallel mit, übernehme feste Aufgaben oder Rollen im Team, bin im Leben vor Ort eingebunden oder lerne in kürzester Zeit etliche neue spannende Menschen kennen. Das klingt zwar soweit erst mal schön, ich komme damit in größeren Abständen aber auch immer wieder an meine Grenzen, brauche immer wieder Selbstbeobachtung und muss sehr achtsam mit meinen Ressourcen haushalten, damit ich dabei gesund bleibe. Und auch ich brauche eine Pause.
Die Erschöpfung, die ich dabei oft am wenigsten auf dem Schirm habe, ist die soziale. Denn neben den operativen Ebenen, birgt so ein Projekt eben auch Konflikte, Beziehungsarbeit sowie emotionale und gemeinschaftliche Prozesse.
Da gehen diverse Fragen in mir auf: Wie finde ich bei all den tollen Menschen, Team- und Arbeits-Sessions und Gruppen-Aktivitäten ausreichend Zeit für mich? Wie gelingt es mir gut, »Nein« zu sagen und mich rauszuziehen, wenn ich einen Bedürfnis-Konflikt in mir habe? Wie kann ich meiner Selbstständigkeit nachgehen und gleichzeitig aktiver Teil eines Teams und einer Genossenschaft sein? Wie gehen Selbstverwirklichung, der Dienst für andere und das Verdienen eines Lebensunterhaltes zusammen? Und wie balanciere ich das Spannungsfeld zwischen Ehrenamt und Selbstfürsorge?
Ich schreibe gerade ein Buch unter anderem genau zu diesen Themen und könnte noch ewig so weiter fragen. Worum es mir aber neben dieser kleinen Reflexion eigentlich mit diesen Zeilen ging, ist eine ergänzende Perspektive, die in unserer Projekt-Kommunikation bisher an einigen Stellen etwas zu kurz gekommen ist.
Wenn wir uns nach außen darstellen, möchten wir motivierend sein, offen, hoffnungsvoll und tatkräftig dazu einladen, Wandel mitzugestalten. Wir möchten anderen Inspiration und Leuchtturm sein, möchten neue Impulse geben, möchten strahlen. Über die Schatten, Herausforderungen und vermeintlichen Versagen zu sprechen, ist da als Organisation erst einmal vielleicht nicht so naheliegend oder attraktiv. Und obwohl ich sagen würde, dass wir im Projekt die Kultur des Heiter-Scheiterns grundsätzlich vertreten und auch an vielen Stellen leben, sind da auch bei uns immer mal wieder Ängste, nicht professionell genug zu wirken oder das Vertrauen von potenziellen Unterstützenden zu verlieren, wenn wir uns verletzlich zeigen. Diese Verletzlichkeit ist aus meiner Sicht allerdings eine Grundbedingung, um gut und vor allem authentisch mit anderen und der Welt verbunden zu sein und ich wünsche mir für die Zukunft, dass wir uns und auch andere Organisationen sich mit gutem Gefühl zeigen können – in Licht und Schatten. So ist dieser Versuch einer Öffnung ein erster Schritt in einen Raum hinter der Oberfläche.
Und nun? Natürlich machen wir weiter. Wir haben einen tollen Sommer vor uns mit wunderbaren Organisationen, Projekten und Formaten, die zu uns an den Platz kommen und ihn mit Leben füllen. Und natürlich bekommt ihr auch weiterhin wie gewohnt News darüber, was bei uns passiert, wo ihr den Sommer über teilnehmen könnt oder wie es an unseren Baustellen weitergeht. Aber ich wollte die Gelegenheit für diese kleine Intervention nutzen. Für ein kleines Innehalten, einen Blick hinter die Kulissen. Für ein Durchatmen, mit dem ich zur Reflexion einladen mag.
Ich freue mich riesig, wenn ihr mit mir und uns teilt: Wie landen diese Zeilen bei euch? Was lösen sie in euch aus? Wie geht ihr mit Herausforderungen um? Kennt ihr persönlich oder in eurer Organisation ähnliche Erfahrungen? Möchtet ihr weitere Einblicke hinter die Projekt-Kulissen? Und möchtet ihr mehr zum Thema »regeneratives Arbeiten« lesen oder habt Lust auf gemeinsame Räume und Formate zum Thema? Ich freue mich auf eure Nachrichten an swantje.roersch@wirbauenzukunft.de.
Bis gleich dann,
Swantje
Swantje ist Design- und Webseiten-Fee in unserem Kreis der Öffentlichkeitsarbeit, Mit-Initiatorin des Ernährungsrates und Liebhaberin von Reduktion, Sharing Economy und regionaler Vernetzung. Auch außerhalb von »Wir bauen Zukunft« gestaltet sie als selbstständige Kommunikationsdesignerin Markenauftritte, Illustrationen und Websites für ökologisch-soziale Projekte und Organisationen.
Abseits dessen beschäftigt sie sich gerade vor allem mit ihrem Buch-Projekt »Ganzheitlich Selbstständig« und einer neuen Arbeitskultur sowie den Themen rund um Tod, Sterben und Trauer.