FOOD 4 THOUGHT #1 – mit Dana Reina Téllez

Wie gelingt ein Zukunftsraum im Spannungsfeld zwischen kultureller Anerkennung und kultureller Aneignung?

 

Dana trifft uns im großen Kreis im Foyer. In der Mitte eine Kerze. Es wird still. Wir verbinden uns mit der Erde, dem Land, seiner Geschichte, mit all den Menschen und all den Wesen, die vor uns da waren und davor da waren. Mit unserem Körper, unserer Atmung, dem Raum. Erste Tränen fließen. Wie lässt sich das Thema des heutigen Abends, die soziale Gerechtigkeit im Zeichen der europäischen Kolonialgeschichte, mit einem Abendessen verbinden?

In Stille servieren uns Flo und das Team ein Gericht von vor dieser Zeit. Lange bevor all die Lebensmittel, die für uns heute so selbstverständlich sind, hier „heimisch“ gemacht wurden oder nach wie vor importiert werden. In Gedenken an diese Zeit und unsere Vorfahr:innen essen wir eine Suppe aus Getreide, aus Hirse, Gerste, Dinkel, Apfelessig, rote Bete, Zwiebeln, Grünkohl mit einem kleinen Salat aus Ziegenkäse, Wildkräutern, Brot und Leinsaat.

Wir trinken Bier und Wasser. Mit dem Bier kommen auch die Worte zurück. Dana spricht über Aneignung, über Enteignung und bittet uns, einer Person etwas zu nehmen – in dem Bewusstsein, dass es jetzt für einen unbestimmten Zeitraum, vielleicht für immer, uns gehört. Wir atmen und fühlen, was hier in uns aufsteigt. Wieder Tränen. Dann erzählt sie uns eine Geschichte. Sie zieht eine imaginäre Linie auf unserer langen Essenstafel und führt uns an den Punkt, an dem wir Menschen zum ersten Mal die Idee hatten, dass die Natur etwas außerhalb von uns ist, an dem sich unsere Vorfahr:innen von ihr trennten. Und weiter an den Punkt, an dem wir uns als Menschen in Kategorien von „zivilisiert“ und „wild“ teilten und dadurch voneinander trennten und übereinander erhoben. An Punkte der Geschichte, an denen sich der Norden über den Süden stellte, Ressourcen, Sprachen, Kulturen, Bräuche und Menschen in Besitz nahm, kontrollierte, versklavte, tötete. Immer wieder läd Dana uns ein zu atmen. Das, was gerade da ist, zu fühlen. Als Individuum, als Kreis. In Kontakt mit der Erde und der Natur um uns. In uns.

Soziale Gerechtigkeit ist Trauerarbeit. Ist Anerkennung. Unserer Geschichte und dessen, was bis heute versteckt oder ganz offensichtlich nach wie vor wirkt.

Zum Nachtisch gibt es einen Hirsebrei mit Beeren. Er schmeckt süß. Süße, die erst durch die bittere Kolonialgeschichte hier in unseren Ländern landen konnte. Mit ihr die Einladung zur Großzügigkeit und dazu, einen Menschen im Kreis zu fragen, ob wir ihm/ihr etwas Gutes tun, etwas zurück geben können. Und dann die Einladung zur Reziprozität, zur Gegenseitigkeit – in dem Bewusstsein, dass wir für alles, was wir nehmen, etwas zurückgeben dürfen. Genau so, wie es unser Atem tut. Wir nehmen Luft in uns auf, nehmen aus ihr, was unser Organismus braucht und geben sie verwandelt wieder zurück. Und sind auch durch sie alle miteinander verbunden.

 

Wir schließen am Feuer mit der Frage, wie wir als Zukunftsort mit dem Thema kulturelle Anerkennung und kulturelle Aneignung umgehen können. Worte der Unsicherheit, der Scham und Schuld, der Demut, der Anerkennung, Dankbarkeit und Wertschätzung werden in den Kreis uns ins Feuer gegeben. Auch hier erkennen wir an, dass wir uns auf einem Weg befinden. Einer ohne klare Antworten oder Lösungen. Einer, der uns zunächst ins Erkennen, fühlen, anerkennen führt. Und einer, den wir zusammen gehen und nicht allein.

To find your way, get lost

 

»The reason why Africans say that ‘in order to find your way, you must become lost’ is because they make no fundamental distinction between the traveler and his environment, or the pilgrim and the pilgrimage.«

 

 

Wir danken von Herzen Dana Reina Téllez für diese tiefe Reise ins Spannungsfeld zwischen kultureller Anerkennung und kultureller Aneignung. Wir danken Amelie, die Dana eingeladen und den Abend mit ihr und vielen wunderbaren Supporter:innen vorbereitet hat. Unserem Koch Flo, für die kulinarische Reise, Kari für Design und Kommunikation und schließlich Sarah für diesen wertvollen Baustein in der gesamten internen Lernreise zum Thema „WBZ als Place of Belonging“.

 

 

Wir freuen uns auf die nächsten Abende des Formates FOOD 4 THOUGHTS – die Dinnerreihe für anregende Gedankenanstöße.